Karin Meinzer ist Atemtherapeutin und psychotherapeutische Heilpraktikerin. Sie ruft zur Blogparade «Atem – mein Partner fürs Leben!» auf und fragt nach Situationen, in denen der Atem wegbleibt – und was dann passiert. (Das Beitragsbild zeigt übrigens Lungenalveolen, Mikrostrukturen in den Bronchien, die den Gasaustausch zwischen der Atemluft und dem Blut besorgen.)
Als Atemtherapeutin erlebe ich im Alltag ebenso oft atemlose Momente, wie jedes andere atmende Wesen auch. Der Atem reagiert ja blitzschnell und situativ «passend». Genau das kann ich mir selbst zur Verfügung stellen und die atemlosen Momente im Alltag aufspüren und zu verändern beginnen. Oft genügt einfach die simple, bewusste Erlaubnis: Weiteratmen.
«Der weiseste Ein-Wort-Satz: Atme.»
Terri Guillemets
10 Situationen, in denen mir der Atem stockt
- Vor dem Bildschirm: Kopf vorgestreckt und zusammengesunkene Haltung – das stoppt meinen Atemfluss. Ich richte mich auf, spüre den Kontakt zum Boden mit den Fusssohlen und meine Sitzbeinhöcker und lasse mich aufrichten, bis der Kopf wieder an seinem besten Platz thront, schön in der Verlängerung der Wirbelsäule.
- Vor Schreck: Das ist eine natürliche Reaktion! Ich atme aus, hörbar über die «geschürzten» Lippen. Das beruhigt mich und mein Atemrhythmus kann sich wieder einklinken.
- Beim Abwaschen: Ich suche via Fusssohlen den Kontakt zum Boden und verlagere das Gewicht auf die Grosszehenballen, so kommt mein Stand wieder in eine dynamische Balance der Aufrichtung, die Schultern werden entlastet und ich kann durchatmen.
- Verstopfte Nase: Bei der Nase gilt: Use it or lose it. Durch irgendeinen der sechs Nasengänge kann die Luft fliessen und dabei reguliert sich das System selbst. Eine Atemübung (z. B. die Wechselatmung) kann Linderung verschaffen und den Luftfluss unterstützen. Durch den Mund einatmen wäre notfalls möglich, bringt aber keine Besserung, wenn man die Nase voll hat – im Gegenteil!
- Vor lauter Konzentration, z. B. beim Einfädeln einer Nadel oder vor lauter (An-)Spannung, was als nächstes passiert: Beim Nadeleinfädeln gehe ich mit meiner Aufmerksamkeit in den Körper und lasse den Ausatem bewusst ausströmen, währenddem ich den Faden zack ins Öhr schiebe.
Ist der Atemstopp einer wichtigen Nachricht geschuldet, z. B. ein Prüfungsresultat, auf das ich schon lange (an-)gespannt warte, dann bringe ich es einfach möglichst schnell hinter mich. Sobald die Botschaft das Gehirn erreicht hat, finde ich zurück in meinen Atemrhyhtmus: mit einem Jubelschrei oder einer ausgedehnten Fluchtirade (so oder so: Sprechen ist Ausatem). - Bei einem heftigen Schmerz: Ich erlaube mir, weiterzuatmen und richte meine Aufmerksamkeit auf meine Atembewegung: Wie es mich weit macht, wenn der Einatem einströmt und wie ich schmal werde, wenn der Ausatem ausströmt. Es kann auch die «Lippenbremse» (siehe Nr. 2) dazukommen.
- Bei einer kalten Dusche: Wenn ich das Wasser auf kalt stelle, geht der Atem erstmal kurz weg, das ist völlig normal. Ich erlaube ihm sofort, weiterzuarbeiten und freue mich an der Wahrnehmung des Lebendigseins.
- Emotional sehr aufgewühlt: Wenn ich nur noch rot sehe, orientiere ich mich an meinem Atemrhythmus und schaue, dass die Bewegung der Atemwelle sich ausbreiten darf. Oft ist gerade dann das Zwerchfell dauerangespannt und reagiert sensibel. Etwas Bodenkontakt mit Bewegung oder Tönen mit einem geeigneten Laut bringt Erleichterung. Jetzt nichts erzwingen!
- Schlechte Luft: Bei Rauch, Ozonbelastung, Feinstaub, Düngemitteldämpfen, Abgasen oder was auch immer in der Luft die Atemwege reizt, gibts nur eins: Möglichst schnell die Flucht ergreifen und frische Luft schnappen. Bis dahin lieber gar nicht atmen, wenn dann höchstens durch die Nase, die Reinigungsfunktionen hat, evtl. etwas vors Gesicht halten als «Filter».
- Zu schnell den Berg hoch: Wenn ich mein situativ stimmiges Tempo nicht respektiere, komme ich aus dem Atemtakt und es bleibt mir die Luft weg. Nach Luft schnappen und Keuchen macht mich noch zusätzlich nervös: Da gibts nur eins: Einatem durch die Nase kommen lassen, Ausatem ausströmen lassen (evtl. mit Zählen begleiten). Und: Einfach mein persönliches Mass und Tempo akzeptieren, dann gerade ich schon gar nicht «ausser Atem».
Wichtig finde ich: Ich nehme mir die Aufmerksamkeit für mich und spüre diese atemlosen Momente im Alltag auf. Ich gebe mir Zeit, die atemlose Situation bewusst wahrzunehmen (aus einer Vogelperspektive) und beobachte, was gerade passiert (oder eben nicht passiert). Dieses Beobachten darf unvoreingenommen und wohlwollend sein. (Den Atemstopper überhaupt zu bemerken, gibt schon 100 Punkte! 💡)
Sobald mir meine «Atemnot» bewusst wird, kann ich mir die Erlaubnis zum Weiteratmen geben: «Mein Atem darf fliessen!» Mit einer geeigneten Atemübung unterstütze ich das. Das kann auch eine Mikropause sein. Probiere selbst aus, wie du zurück in deine Körperwahrnehmung kommst:
Wenn du in deinem eigenen Alltag ein wenig Atem-Detektiv:in spielen und deinen Freund fürs Leben näher kennenlernen möchtest, kannst du die Fragen aus dem Atemorakel nutzen. Sie geben dir Anhaltspunkte, was du beobachten könntest und regen dich dazu an, Zusammenhänge herzustellen zwischen dem, was du erlebst und der Art und Weise, wie dein Atem reagiert.
Welche der 10 Situationen, die ich beschrieben habe, kommen dir bekannt vor? Merkst du, wenn dein Atem aussetzt, flach wird oder überreagiert? Was tust du dann? Hinterlasse im Kommentarfeld deine Erfahrung mit einem atemlosen Moment und was du daraus gemacht hast.
Wecke deinen Atemsinn mit einer Zufallsmikropause 🥱
Atemfluss statt Atemstau
Erlebe dich ⏳ in einer Minute zwischendurch
- als ganzer Mensch
- immer wieder neu
- mit allen Sinnen
… damit es dir gut geht vor dem Bildschirm 👣