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Empathiefreie Zone: Ich habe Rücksicht mit Empathie verwechselt

"Empathiefreie Zone" als Titel zu Grimassen-Selfie

Wie habe ich den Unterschied herausgefunden? Warum ist das für mich wichtig in der Begegnung mit dem Mensch als Ganzes, besonders bei meiner Arbeit als Atemtherapeutin? Ich möchte dabei Rücksicht und Empathie nicht gegeneinander ausspielen, sondern erzähle, wie ich ihre unterschiedlichen Qualitäten erlebte und heute erlebe.

Dabei kommt auch das Thema Selbstempathie zur Sprache und ich habe ein paar Lese- und Übungstipps für dich. Zum Schluss verrate ich dir noch ein knallhartes Lebensmotto von mir und wie es zu diesem Geständnis gekommen ist.

Rücksicht ist ein Verhalten

Als Kind ging ich sehr gerne zur Schule und erzählte das ebenso gerne weiter. Ich wurde so erzogen, dass ich gegenüber «schwachen Schüler:innen» das nicht so sagen solle – aus Rücksicht darauf, dass ihnen das Lernen nicht leicht fiel und sie deshalb lieber Ferien als Schule hatten. Ich lernte also, mein Verhalten an die Bedürfnisse und Fähigkeiten anderer Menschen anzupassen. So konnten sie ihr Gesicht wahren oder mussten sich nicht mit eigenen Unzulänglichkeiten konfrontieren.

Rücksicht ist eine lernbare Orientierung am Aussen, um das eigene Verhalten zugunsten des Umfelds oder der Mitmenschen anzupassen. Es hat viel mit Anstand zu tun, mit dem, was sich ziemt. So tue ich nichts, was andere stören oder verletzen könnte. So gebe ich mir Mühe, keine Gesichtsverluste herbeizuführen, andere blosszustellen oder in ein schlechtes Licht zu rücken. Wie ich das als Kind gelernt hatte, bedeutete das aber auch regelmässig, meine eigenen Fähigkeiten und Vorlieben zurückzustellen, um zugunsten anderer Zurückhaltung zu üben.

Versteh mich nicht falsch: Rücksicht ist eine gute Sache im Mit- und Füreinander. Für gewisse Alltagssituationen finde ich die leere und gefällige Rücksicht als Verhaltenshülle in Ordnung. Praktisch und praktikabel. Allerdings glaubte ich selbst dabei lange Jahre, aus Empathie zu handeln, empathisch zu sein. Ich selbst hatte die Rücksicht so gelebt, dass es immer bedeutete, in dem Moment etwas aufzugeben: Die Verbindung zu mir selbst. Der Anstand, die Erziehung und die äussere Situation bestimmten mein Tun.

Dieses Verhalten bewährte sich jahrelang. Ja, es beschützte mich sogar, machte mich flexibel und «unberührbar». Ich schätze Rücksicht und erlebe sie selbst oder bei mir als sorgsam und freundlich. Ich glaubte, Empathie zu leben, wenn ich einfach «nur» rücksichtsvoll handelte und mich darin als «mitfühlend» erlebte. Schliesslich braucht es – abgesehen von der Erziehung – eine gewisse Wahrnehmung für die anderen Menschen, um Situationen zu erkennen und adäquat zu reagieren, in denen Rücksicht angebracht war.

Solange ich bloss Rücksicht lebte, war ich eine empathiefreie Zone. Das bedeutet für mich,

  • rücksichtsvolles Verhalten, das nicht mit dem inneren Kern eines Menschen verbunden ist.
  • entspringt dem Verstand, dem Sachzwang oder dem Gruppendruck.
  • eine zwar respektvolle Geste, die nicht aus dem Herzen kommt.

So habe ich in der Vergangenheit mitunter «Rücksicht auf mich selbst» genommen. Ohne dabei mit mir selbst verbunden zu sein. Und dabei gemeint, ich pflege Selbstempathie. Duden.de definiert Rücksicht als «Verhalten, das die besonderen Gefühle, Interessen, Bedürfnisse, die besondere Situation anderer berücksichtigt, feinfühlig betrachtet». Rücksicht kann sehr nahe an die Empathie herankommen: im Tun von aussen betrachtet ist sie oft wohl kaum von der Empathie zu unterscheiden.

Empathie ist eine Herzenshaltung

Duden.de definiert Empathie als «Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen». Empathie spielt sich im zwischenmenschlichen Resonanzraum ab. Dieser Raum liegt innerhalb unseres Wahrnehmungsfeldes – bewusst und unbewusst – und ist im Grunde wertfrei. So kommt es einem selten vor, weil so vieles da schon «besetzt» ist. Ich nutze hier die Chance, zuerst die Wahrnehmung des zwischenmenschlichen Resonanzraumes durch unvoreingenommene Beobachtungen aufzuzeigen.

Ich behaupte: Wenn Empathie er- und gelebt wird, bedeutet das

  • Der Mensch ist präsent mit seinem ureigenen Wesen, verbunden mit sich.
  • Die Orientierung kommt von innen und das Herz hat Begegnungshoheit.
  • Empathie mit sich selbst ist die Grundlage für Empathie mit andern.

Wie unterscheidet sich denn die Empathie von der Rücksicht? Es geht weniger um die Situation als solche, um meine Handlungen in sich. Empathie ist eine Herzenshaltung. Ich darf so anwesend sein, wie ich bin. Ich bin verbunden mit mir selbst und gleichzeitig mit meinem Gegenüber. Diese Verbindung ist frei von Wertung – es ist kein Mitleiden, keine «rücksichtsvolle» Be-Wertung darin.

Gähnen und Empathie Über Ansteckung und den zwischenmenschlichen Resonanzraum.

Warum die Empathie für mich als Atemtherapeutin wichtig ist

«Du kannst verändern, wer du bist, ohne abzulehnen, wer du warst.»

Gordon Livingston (kennengelernt durch Corina Oehrli von atemraum-lauenen.ch)

In der Atemtherapie ist der ganze Mensch mit seinem ureigenen Wesen gemeint. Wir gehen davon aus, dass dieser Mensch sich entwickelt und entfalten will auf seinem eigenen Weg. Im eigenen Tempo. Im Mass, das für ihn oder sie passt. Damit arbeiten wir in den Sitzungen und benutzen dazu die Körperwahrnehmung und die Atembewegung als Basis.

In meiner Praxis stelle ich also einen Raum zur Verfügung, in dem Lernen über sich und das eigene Leben möglich wird: Offen und neugierig erfahren, wie es auch sein könnte und wie der Atem sich dabei zeigt. Dies darf in diesem besonderen Raum passieren, der abseits des Alltags existiert. Dabei geht es weniger um Verhalten, sondern mehr um «Bereitschaft» und die sich entwickelnde «Fähigkeit», in Kontakt zu kommen mit sich selbst.

Ich glaube, Veränderung ist manchmal so anspruchsvoll, weil sie aufzeigt, was vorher noch nicht ganz stimmig war. So, wie wenn ich hier erzähle, dass ich Rücksicht mit Empathie verwechselt habe und dabei glaubte, Empathie zu leben. Da komme ich mir rückblickend doch vor, wie der letzte Depp, der erst nach allen andern kapiert, was Sache ist. Hier kommt die Empathie für mich selbst ins Spiel: Ich darf meine Zeit brauchen, unterwegs in meinem Prozess. Ich lerne dazu und entwickle mich, ohne dass dies in Frage stellt, wer ich vorher war.

Wir sind unser ganzes Leben lang Lernende. Das ist eine gute Nachricht, denn solange ich atme, ist Veränderung möglich. Das bedeutet auch, dass sich das, worunter ich jetzt leide, verwandeln kann. Vielleicht habe ich zu viel Stress und schaffe es nicht mehr, mich wieder in die Ruhe zu bringen. Vielleicht plagen mich Gelenkschmerzen oder verspannte Muskeln. Egal, was dir weh tut, ob du erschöpft bis oder unzufrieden: Dein Atem ändert das für dich!

Daraus darf der Mensch Mut schöpfen und dazu stehen:

  • Ich habe etwas dazugelernt
  • Mir wurde etwas bewusst über mich selbst
  • Ich habe etwas erlebt, was für mich neu war
  • Ich sehe etwas aus einer neuen, zusätzlichen Perspektive
  • Ich habe meine Wahrnehmung geteilt
  • Wenn ich mich weiterentwickle, bedeutet das nicht, dass ich vorher nicht ok war.

Das sind Geständnisse «der anderen Art». Etwas ist ins Bewusstsein gekommen und nun ist das persönliche Erleben klarer, reicher, mehr das eigene geworden. Seitdem ich verstanden habe, wann ich innige Empathie lebe und wann leere Rücksicht, freut sich mein Herz jedes Mal neu. Ich habe Zugang und Quelle gefunden: Die Brücke dahin ist mein Atem, der mich lehrt, wie ich auch mir selbst gegenüber Empathie erfahren und pflegen kann.

Ein leidiges Thema: Empathie gegenüber mir selbst

Obwohl ich einen steifen Nacken hatte (wahrscheinlich von einer langen Sesselbahnfahrt anlässlich meines Geburtstags), wollte ich unbedingt diesen Artikel schreiben. Mein Kopf fiel fast vom Hals und die Bildschirmarbeit quälte mich. Warum tat ich es trotzdem? Das ist nun ein echt tiefgehendes Geständnis meinerseits: Ich wollte in dem Moment einfach nicht auf meinen Körper hören, sondern das tun, worauf ich Bock hatte – und das fand am Schreibtisch vor dem Bildschirm statt, an der Tastatur: Bloggen eben.

«Wasser predigen und Wein trinken», voll verlogen. Wenn es dir mit Kopf, Nacken und Wille auch so geht wie mir jetzt gerade: Der erste Schritt ist, es überhaupt zu bemerken 🤣⚡😬. Es dann im Bewusstsein ankommen zu lassen. Und schliesslich: Mit Empathie zu sich selbst anzunehmen. 🥰 So kann ich mir sagen: «Susanne, was tust du da überhaupt? Wo ist deine Selbstfreundschaft geblieben?»

Das Wort Empathie kommt ursprünglich aus dem Griechischen und bedeutet «Leid, Leidenschaft oder eine starke Gefühlsregung» (de.wiktionary.org). Kein Wunder also, dass es mich so direkt betrifft, wenn ich mich intensiv damit befasse! Da war mein Motto lange: Mit dem Kopf durch die Wand tut der Wand nicht gut. Also lass es.

Eine Übung zur Selbstempathie (für Einsteiger)

Schau mal, ob das passt für dich:

  1. Gehe mit deiner Aufmerksamkeit zum Brustraum.
  2. Lege deine Hände dahin, wo du dein Herz vermutest.
  3. Was spürst du unter den Händen?
  4. Vielleicht Wärme, Bewegung, Pulsieren, …
  5. Wenn du magst, nimm im Atem die Empathie für dich selbst dazu.
  6. Spüre anschliessend nach. Wie bist du dir selbst nun Freund:in geworden?

Das geht in Richtung Herzarbeit! Versöhnend, sanft und unspektakulär mit sich die Freundschaft pflegen. Wie erlebst du das?

▶ Mehr Informationen zur Herzintelligenz gibt es bei HeartMath Deutschland.

▶ Zum Einsteigen ins Thema empfehle ich dir den Artikel «Was ist Herzintelligenz und wie kann ich sie für meine Gesundheit nutzen?» von Atemtherapeutin und Bloggerin Eveline Meier Baumgartner.

Meine zwei Lieblingsbücher zum Thema

▶ Marx, Susanne (2010): HerzIntelligenz® kompakt. Gesund und gelassen, klar und kreativ. Die wissenschaftlich belegte Methode. Kirchzarten bei Freiburg: VAK

▶ Schmid, Wilhelm (2018): Selbstfreundschaft. Wie das Leben leichter wird. Berlin: Insel (Ein kleines, handliches Büchlein mit 10 kurzen, inspirierenden Kapiteln, destilliert aus «Mit sich selbst befreundet sein»)

▶ Schmid, Wilhelm (2004): Mit sich selbst befreundet sein. Von der Lebenskunst im Umgang mit sich selbst. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Ein dicker Wälzer mit allen philosophischen Hinter- und Vordergründen zum Thema)

Übrigens gestehe ich –

Mit den Wörtern Selfcare, Selbstpflege und Selbstfürsorge kann ich wenig anfangen. Am liebsten sind mir die Begriffe Selbstfreundschaft, Empathie zu sich oder allenfalls noch Selbstmitgefühl. wie ist das bei dir?

Wie es zu diesem Geständnis kam

In der verschworenen Gemeinschaft der Blogger:innen The Content Society legt uns Judith Peters, unsere bloggende Leitwölfin, jede Woche ein Thema ans Herz. Na ja, nun kam das mit dem Geständnis auf den Tisch. Ich überwand meine ersten Widerstände («Darüber schreibe ich nicht!») und ging dorthin, wo ich mich wohlfühlte: Draussen spazieren. Danach schaute ich, wo ich mit dem Thema stehe und stellte fest: Ich kann es nicht nicht tun. Jede Äusserung ist ein Geständnis. Solange ich festen Boden unter den Füssen habe (und als Atemtherapeutin kann ich mir das selbst zur Verfügung stellen), verblogge ich das.

▶ Erst kürzlich habe ich einen Artikel geschrieben, der glatt als Geständnis durchgehen könnte, wenn du weisst, dass ich ihn auch aufgrund meiner eigenen Erfahrungen verfasst habe: Zu schnell, zu viel, zu parallel

Jetzt bist du dran!

Kennst du Selbstfreundschaft? Wie pflegst du sie im Alltag? Welche Erfahrungen hast du mit Rücksicht vs. Empathie gemacht: Wo sind wir uns einig, wo widersprichst du mir?

Das hat dir gefallen? Schick es jetzt jemandem!

  • Liebe Susanne,
    ich habe deinen Austausch mit Uli Pauer in The Content Society gelesen. Das war so inspirierend, dass ich deinen Artikel lesen wollte.

    Jetzt habe ich mehr Klarheit, dass es Empathie gibt. Dann bin ich mit mir oder der anderen Person verbunden.

    Und es gibt Rücksichtnahme. Dann habe ich nur einen Gedanken, was die andere Person brauchen könnte. Und ich kappe die Verbindung mit mir, handle rücksichtsvoll ohne innere Beteiligung.

    Tatsächlich kann es von “außen” genau gleich aussehen. Für mich als Mensch ist es gleichzeitig etwas völlig verschiedenes.

    Um bei deinem ersten Beispiel zu bleiben, könnte es sein, dass es für deine Freundin überhaupt kein Problem ist, dass du von der Schule schwärmst und sie sie nicht so gerne mag. Erst wenn du mit ihr in Verbindung bist, kannst du es herausfinden und vielleicht verzichtet sie darauf, das Thema Schule vom Erzählen zu verbannen, weil sie deine Freude und Lebendigkeit dabei fühlt. Oder du sprichst nicht von der Schule in ihrer Anwesenheit, zu anderen Zeitpunkten aber sehr wohl.

    Wahrscheinlich wollten die Erwachsenen sowieso nur sich selbst schützen. Denn wenn jemand verlangt, dass du deine Gefühle abspaltest und versteckst, dann ist er sicherlich eine Person, die das selbst tut.

    Vielen Dank für den Einblick in dein Erleben.

    Herzliche Grüße

    Jutta Büttner

    • A
      Susanne von Atemhaus Wagner

      Liebe Jutta, herzlichen Dank für deinen Kommentar! Ich freue mich darüber, was du aus meinem Artikel mitgenommen hast, sehr anregend, was du sagst. Mir gefällt die Formulierung «innere Beteiligung». Diese innere Beteiligung wird von den “Beteiligten” immer wieder neu ausgehandelt – miteinander und mit sich selbst, so erlebe ich das. “Ich bin der festen Überzeugung, dass Mensch auch in Verbindung bleiben können, wenn sie unterschiedlicher Meinung sind”, schreibst du auf deiner Webseite, das trifft es doch genau. Gut finde ich, wenn ich beide – Rücksicht und Empathie – zur Verfügung habe im Leben und im Umgang mit mir und andern. Kann sehr intensive Empathie den Boden unter den Füssen aufweichen? Ich glaube schon. Das erleben wir wohl alle unterschiedlich und verschieden, danke für den spannenden Austausch! Herzlich, Susanne

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